Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann – und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost. Carl Zuckmayer „Des Teufels General“ Völkermühle Europas

Eigentlich ist es schon eine Groteske wenn man eine Debatte darüber anstößt, wer einem Volk angehören darf und wer nicht. Diese Groteske fand in Deutschland ihren Höhepunkt, mit einem Antrag der AfD, zur Freilassung Deniz Yücels aus einem türkischen Gefängnis. Mir geht es nicht darum, ob die Bundesregierung nun auf die Türkei eingewirkt hat oder nicht, oder ob irgendwelche Deals stattgefunden haben. Ich glaube es war so, wie der im Asyl lebende türkische Journalist Can Dündar in einem Interview mit der Zeit geantwortet hat: „Der Sultan hat Deniz Yücels Verhaftung angeordnet und der Sultan hat beschlossen, dass er freigelassen wird.“
Ich war genauso froh wie die Meisten, dass Deniz frei ist und das zählt erst einmal. Und ich hoffe, dass auch die anderen inhaftierten Journalisten freikommen, deren Verbrechen es ist, dass sie ihren Job ausüben. Mir geht es allerdings um etwas anderes, denn der Antrag der AfD hat gezeigt, auf welchem Weg Europa mittlerweile angekommen ist. Es geht der AfD auch nicht darum, was Yücel, der übrigens damals für seinen Artikel 20.000€ Strafe zahlen musste, nun geschrieben hat und was nicht. Und wenn nicht Deniz Yücel, sondern Fürchtegott Liebrecht Frommhold, der Antrag wäre gar nicht gestellt worden.
Es geht der AfD auch nicht darum, dass die Bundesregierung ihre Missbilligung über einen Artikel Yücels zum Ausdruck bringt, den er vor einigen Jahren schrieb, sie wissen wahrscheinlich selber dass das Absurd ist.

Es geht der AfD vielmehr darum auszuloten, wie weit sie in dieser Gesellschaft gehen können. 2005 sorgte die sächsischen NPD Abgeordneten Apfel und Gansel für einen Eklat, als sie vom „Bombenholocaust“ und von der „vermeintlichen Befreiung“ Deutschlands sprachen. Sowohl die NPD als auch die AfD wissen genau, dass sie mit solchen Eskapaden nicht durchkommen, aber es sorgt für allgemeinen Zuspruch bei den sogenannten „Wutbürgern.“Sie haben die Möglichkeit auszuloten, wie weit sich Meinungsfreiheit und parlamentarische Demokratie dehnen lassen und besitzen die Meinungshoheit bei Leuten, die schon gewußt haben wollen, dass Deutschland von Volksverrätern regiert wird. Man gibt diesen Leuten auch das Instrument in die Hand, sich als Opfer darzustellen, die zu Unrecht in die Schmuddelecke gestellt werden. Dass sie das sind, Schmuddel, steht außer Frage, aber man muß ihnen nicht noch das Büßergewand reichen. Und folgerichtig kam es, wie es kommen mußte die AfD sieht sich als moralischen Sieger dieser Groteske und jauchzt: „MERKE: Wenn Gutmenschen kritisiert werden, ist es Hetze. Wenn eine Aussage gegen Deutsche („Köterrasse“) kritisiert wird, ist es Zensur. Und wenn Herr Yücel ein „deutscher Patriot“ sein soll, muss rasch das Staatsangehörigkeitsrecht überdacht werden. #afd“ So schrieb es der Herr Beckamp, Landtagsabgeordenter der AfD in NRW, auf seinem Twitter Account.
Sowas kommt an bei denen, die der Meinung sind, dass Roberto Blanco seinen deutschen Paß doch eh mit irgendwelchem Bimbes erhalten hat, gut an. Volkszugehörigkeit definiert sich nicht durch Paß oder Geburt, nein ihrer Meinung nach definiert sich Volkszugehörigkeit nach dem Ahnenstamm.

Nur wer lückenlos nachweisen kann, dass sein Stammbaum bis zu Otto dem Kühnen zurückreicht, ist es wert in den Kreis des Kollektivs aufgenommen zu werden. Oder, für Österreicher, ein direkter Nachfahr Ludwig III ist, dem Urvater der Babenberger und Gründer Österreichs.
Leider hat das in Europa unter all diesen Populisten schon seit längerem Methode und beschränkt sich nicht auf Deutschland oder Österreich. Hier in Irland findet man sehr häufig Kommentare, die Neubürgern das Recht absprechen Iren zu sein, oder sich als solche zu bezeichnen. Allen Ernstes fordern sie, dass nur Ire sein darf, wer praktisch noch vor Ankunft der Wikinger im Land lebte. Eine in der Tat groteske Situation denn Irland war in der Vergangenheit immer der Vorgarten fremder Mächte. Die Kelten waren die Ersten die vom Festland aus die Insel besiedelten. Ihnen folgten die Mönche, meist Angelsachsen, dann kamen die Wikinger bis die Normannen Fuß fassten und Irland für die englische Krone in Besitz nahmen.
In Cork haben wir einen Juwelier mit Namen Hilser und ich nehme nicht an, dass die Hilser Brothers mit den Hilsers in Furtwangen verwandt oder verschwägert sind. Eher nehme ich an, dass die Vorfahren in Schweizer Diensten standen und die Schweizer wiederum in englischen. Wahrscheinlich war der Herr Hilser in Irland stationiert und hat sich, nach Ende der Dienstzeit, hier niedergelassen, geheiratet und Kinder bekommen. Der erste Staatspräsident des Freistaates Irland, Éamon de Valera, geht auf Spanier zurück. Wahrscheinlich haben sich auch Türken hier niedergelassen, als der türkische Sultan während des Famines Schiffe nach Irland sandte, wer weiß.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, genannt der Viktator, beschwört in jeder seiner Reden das Großmagyarische Reich.

Das kommt an, lenkt von Problemen wunderbar ab, denn „Wir“ gegen „Die“ begreift auch der größte Holzkopf. Ungarn sind nicht mehr die, die im europäischen Ausland leben und arbeiten, denn die könnten ihm ja in die Suppe spucken. Oh nein, Ungarn sind die, die im Kernland und im historischen Ungarn leben, also auch die ungarische Minderheit in Rumänien. Das ist eine griffige Formel und alle die im Ausland arbeiten haben ihr Recht verwirkt Angehörige der Magyaren zu sein, praktisch Verräter.
Das Problem ist, dass Volk, leider auch von Liberalen, auf einen völkischen Nenner runtergebrochen wurde. Man definiert sich durch Abstammung, nicht durch Geburt. Der Satz, „eine Katze die in einem Fischladen geboren wurde, ist noch lange kein Fisch,“ sagt alles worum es diesen Leuten eigentlich geht. Und das kommt an. Man kann sich so auch als unschuldiges Opfer der bösen „Gutmenschen“ sehen und Orbán spielt diese Klaviatur des Opfers noch eine Oktave höher, in dem er den „Verfolgten des westlichen Liberalismus“ Asyl anbietet. Quasi eine Wagenburg der europäischen Identität.
So sehr ich Cem Özdemirs Wutausbruch im Bundestag auch nachvollziehen kann und ihn im ersten Moment, als ich ihn gesehen habe, Beifall zollte, so sehe ich jetzt in seiner Rede einen Steilpaß für diese Populisten.

Die Frage allerdings wird sein, wie geht am Besten mit diesen Leuten um? Im englischen und irischen Fernsehen läuft häufiger die Werbung von Ancestor DNA, Vielleicht sollte man diese Leute, und ihre Sympathisanten, zwingen sich einem DNA Test zu unterziehen. Eventuell erledigt sich dieses völkische Kasperltheater von selbst, wenn ein Herr Gauland plötzlich die Feststellung macht, dass einer seiner Vorfahre ein durchreisender Mongole aus der Steppe ist, oder Herr Gottfried Curio stellt überrascht fest einen Ahnherren aus den Weinbergen Sardiniens zu besitzen.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob damit die Debatte und groteske Aträge der Vergangenheit angehören würden. So wie ich diese rechten Wuthamster einschätze würden sie dann die nächste Sau durch‘s Dorf treiben.