Zumindest für die Achse des Guten.
Im letzten Jahr habe ich über Peter Grimms Unkenntnis über die Wahl in Großbritannien geschrieben, da er behauptet hat, dass Ursula von der Leyen und Angela Merkel für den Wahlsieg der Tories bei den Neuwahlen verantwortlich gewesen seien.
In diesem Jahr sind es gleich zwei Kandidaten die dem Begriff „alternative Fakten“ eine neue Bedeutung geben. Der eine ist Thomas Rietzschel, der besser mal beim Kulturressort geblieben wäre und der zweite ist Dr. Benny Peiser.

Fangen wir mit Rietzschel an. Im September 2020 kam Boris Johnson auf den Einfall, das sogenannte „Binnenmarktgesetz“ auf den Weg zu bringen, das den Brexit Vereinbarungen zuwidergelaufen wäre, da Großbritannien selber der Seegrenze zwischen Nordirland und Großbritannien zugestimmt hat. Das Binnenmarktgesetz hätte eine mögliche Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland bedeutet und damit möglicherweise ein wiederaufflammen des Nordirland Konfliktes.
Rietzschel war offensichtlich die Geschichte Irlands und der zwischen der EU und Großbritannien geschlossene Vertrag nicht bekannt, sonst hätte er nicht gejubelt „In der Rage mag ihr entgangen sein, dass England bereits Ende Januar aus der EU ausgetreten ist und zum Schluss des Jahres auch die Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlassen wird.“ Nein Thomas, das ist der Frau von der Leyen nicht entgangen, hättest Du den Vertrag gelesen, wäre auch Dir aufgegangen dass sich Großbritannien zu einer Seegrenze verpflichtet hat, übrigens eine Idee Theresa Mays.
Das Binnenmarktgesetz hätte gegen diesen Vertrag verstoßen, sowie gegen internationales Recht, aber man nimmt es bei der Achse nicht so genau mit Fakten und hält sich lieber an Trumps Pressesprecherin, die Diskrepanz der Inauguration Donald Trumps, bezüglich der Teilnehmer, mit alternativen Fakten erklärt hat. Das er die Queen im Kensington Palace wohnen lässt, ist wahrscheinlich seiner Ignoranz geschuldet.
Und da ist man bei der Achse wahrlich Meister. Man biegt sich Fakten so, dass sie in‘s eigene Weltbild passen. Und da haben Demokratie, Gesetz, oder Expertenmeinungen keinen Platz. Man bejubelt Personen wie Donald Trump, Boris Johnson, oder Viktor Orbán. Bieten sie doch dem liberalen Establishment die Stirn und werden vom Leserkreis, die es mit Gemeinschaft auch nicht so haben, höchstens wenn es um die Volksgemeinschaft geht, goutiert.
Der zweite Protagonist, Benny Peiser, schoss dann allerdings im Dezember den Vogel ab und erklärte Boris Johnson zum Sieger der Vertragsverhandlungen. Nun lebt Herr Peiser schon etwas länger in England und sollte eigentlich das Geschehen im Blick haben, allerdings nicht, wenn man sich um den ganzen Brexit nur am Rande interessiert, oder aus konservativen, Brexitnahen Zeitungen informiert.
Peiser hat die Global Warming Policy Foundation gegründet, eine Lobbyorganisation, die den Klimawandel leugnet und einen gewissen Einfluss unter den Tories besitzt, bezeichnet dieser Boris Johnson auch gerne mal als Linksradikalen, weil er nicht Berater der Premiers in Sachen Klima geworden ist, und Johnsons Kabinett an den Klimazielen festhält.
Aber hier geht es nicht um Klima, sondern darum der verhassten EU in die Suppe zu spucken. „Wir befinden uns im Jahre 2021 n. Chr. Ganz Europa ist von einer Großmacht besetzt… Ganz Europa? Nein! Eine von unbeugsamen Briten bevölkerte Insel hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.“ Beginnt er seinen Text und verkennt, dass die Europäische Union sich selten in die Belange seiner Mitglieder eingemischt hat. Auch vergisst er, dass britische Regierungen gerne mal EU Gesetze in nationales Recht umgewandelt haben.
„Das Vereinigte Königreich wird sich nun zusehends aus den Fängen eines Riesen-Oktopus befreien. Es hat die volle Kontrolle über die Einwanderungspolitik und die Grenzen wieder erlangt. Britische Steuerzahler überweisen keine Milliarden mehr an den EU-Haushalt. Großbritannien liegt nunmehr außerhalb der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs. Das Land kann Handelsabkommen mit anderen Ländern auf der ganzen Welt schließen. Und auf längere Sicht wird es viel weniger Regeln und Kosten geben.“
Schreibt er weiter und mir stellt sich die Frage, wo Herr Peiser die letzten 40 Jahre gelebt hat? Großbritannien hatte immer die Kontrolle über seine Einwanderungspolitik und die Brexiteers vergessen, das die Osterweiterung maßgeblich von Großbritannien ausging und man auch hinter dem Freizügigkeits Grundsatz stand. Die Ablehnung des Schengenabkommens erlaubte Großbritannien – Übrigens auch Irland – weiterhin souverän über seine Grenzen zu wachen. Man musste sich einer Paßkontrolle unterziehen wenn man aus der EU aus und nach Großbritannien einreisen wollte.
Einer der Gründe für das Referendum war, dass man sich das anders vorgestellt hatte, Freizügigkeit ja, aber doch nicht für Osteuropäer und schon gar nicht, dass Polen die Jobs übernahmen die die englische Bevölkerung nicht machen wollte. Freizügigkeit bedeutete vielmehr das man selber in Europa ohne Probleme leben kann.
Auch werden die Steuerzahler weiterhin Gelder nach Brüssel überweisen, da das Land weiterhin in einigen Organisationen verbleibt und die Mitgliedschaft Geld kostet. Auch konnte GB Verträge mit anderen Ländern schließen, es profitierte aber von der starken Gemeinschaft die die EU bietet. Aber hey, die Verträge, die im Zuge des Deals den Briten zufallen bedeuten nicht, dass man da weitermachen kann, wo man ausgestiegen ist. Man wird diese neu verhandeln müssen, zu neuen Konditionen.
Als ich ……“Durch die Sicherung eines Brexit-Handelsabkommens hat Johnson das geliefert, was seine Kritiker nicht für möglich hielten. Während seine Kritiker ihn seit Jahren als einen ideologischen Fanatiker und Polit-Clown verschrien, hat er sich als das erwiesen, was viele Briten in ihm sehen – ein realpolitischer Pragmatiker.
Einer der Gründe, warum Johnson, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Theresa May, einen Großteil seiner Unterstützung halten konnte, ist, dass er die britische Volkssouveränität mehr als die parlamentarische Souveränität respektierte, ja respektieren musste, um letztendlich das Referendum und mithin den Willen des Volkes zum Erfolg zu führen.
„Tatsächlich hatte Boris Johnson bei den Verhandlungen mit der EU keinen großen Spielraum für Kompromisse. Das Schicksal Theresa Mays und das Überleben der konservativen Partei standen auf dem Spiel. Denn das erste, ursprünglich von Theresa May und der EU ausgehandelte Austrittsabkommen war von den britischen Wählern und dem Unterhaus kategorisch abgelehnt worden.“…gelesen habe, da mußte ich lauthals lachen. Mir stellt sich die Frage, ob Peiser völlig realitätsfern ist und auf der Jagd nach dem Einhorn, oder im Koma lag.
Schauen wir uns doch mal den „Erfolg“ an: Die EU hat den Vertrag bekommen, den sie sich mühsam erarbeitet hat. Ich erkläre auch warum. Als Theresa May im Unterhaus ihre Rede zum, von Boris Johnson „ausgehandelten“ Deal hielt, adressierte sie das Ganze an Keir Starmer, Vorsitzender der Labour Party, meinte aber Boris Johnson.
Sie sagte es sei der Vertrag den sie ausgehandelt habe, der mehrfach abgelehnt wurde – auch von Jeremy Corbyn und Labour – und nun in leicht veränderter Form vom Unterhaus bestätigt wird. Zum einen hätte man den Vertrag viel früher und besser haben können, aber man wollte ihn nicht. Dann lehnte Johnson den Vertrag im September ab und versuchte das Binnenmarktgesetz in‘s Spiel zu bringen und damit Nordirland vor den Bus zu stoßen. Es wurde noch ein bisschen nachverhandelt, und als ein No Deal drohte, unterschrieb er.
Was hat er bekommen? Johnson brachte gegen Ende die Fischindustrie in‘s Spiel die 80% der Fanggründe für die britischen Fischer beanspruchte, obwohl sie nur 1% zum BIP beitragen und das meiste eh in die EU exportiert wird. Man fischt auch überwiegend Kabeljau und ganz ehrlich, Fische kennen keine Nationalität. Am Ende haben die britischen Fischer gar nichts bekommen, denn es bleibt so wie es war mit einer Ausnahme, dass man in 5 Jahren neu verhandelt.
Service- und Dienstleistungssektor machen 70% des britischen BIP aus, allerdings war dieser Sektor kein Bestandteil der Verhandlungen, so dass das Ergebnis sein wird, dass Johnson Nachverhandlungen beantragen muß, will er nicht für einen massiven Crash verantwortlich sein. Viele Dienstleister haben ihre Sitze nach Dublin, Frankfurt, Paris, oder Amsterdam verlegt. Was Boris Johnson nämlich nicht bedacht hat ist, dass Finanzfirmen ihren Sitz in der Europäischen Gemeinschaft haben müssen, da sie sich EU-Regeln unterzuordnen haben.
Das ist spätestens seit 2018 bekannt und dementsprechend schreibt Peter S. Goodman in der New York Times: „Nach dem Brexit-Referendum verlagerten viele Unternehmen Vermögenswerte, Büros oder Geschäftsbetriebe aus Großbritannien nach Kontinentaleuropa. Bis Anfang April 2019 haben Banken mehr als 1 Billion US-Dollar aus Großbritannien verlagert, und Vermögensverwaltungs- und Versicherungsunternehmen haben 130 Milliarden US-Dollar aus Großbritannien transferiert.“
Ein Bericht des unabhängigen Forschungsinstituts New Financial vom März 2019 identifizierte 269 Unternehmen aus dem Banken- oder Finanzdienstleistungssektor, die nach dem Brexit Teile ihres Geschäfts oder ihrer Belegschaft verlagert hatten; von diesen Umzügen wurden 239 als Brexit-bedingt bestätigt. Die meisten Umzüge erfolgten nach Dublin (30 %), gefolgt von Luxemburg (18 %), Frankfurt (12 %), Paris (12 %) und Amsterdam (10 %).“ Und es wird weitergehen und viele werden in der Finanzmetropole London ihre Arbeitsplätze verlieren dank Brexit. – Anmerkung, der Report wurde Oktober 2019 upgedated –
Ich möchte hier auch nicht erwähnen, dass 70% der britischen Unternehmen auf den Brexit nicht vorbereitet sind, da es bis zuletzt keine Informationen darüber gab was sich alles ändert. Laut Boris Johnson sind das die Unternehmen schuld, denn Verantwortung übernimmt er grundsätzlich nicht. Um das zu wissen sollte man sich seine Reden im Unterhaus anhören. Für ihn und die Tories sind alle anderen Schuld.
Das NHS wurde jahrelang kaputt gespart, und mit dem Brexit verlor es einen großen Teil seiner Pflegekräfte aus EU-Ländern. Die Reaktion eines Brexiteers war, dass diese Osteuropäer schnell den Schwanz einklemmen, wenn mal eine kleine Epidemie kommt und die Engländer im Stich lassen. Ein anderer schrieb naiv, dann sollte das NHS für Nachwuchs sorgen, als wäre der Heilberuf mit einem Abendbesuch auf dem College in 2 Wochen erlernbar.
Durch Covid-19 wurde die ganze Situation noch verschärft. Unicef richtet Suppenküchen für Kinder und Jugendliche, besonders in Nordengland ein und erreicht damit 4,2 Millionen die unter der Armutsgrenze leben. Die Zahl der Obdachlosen steigt rasant, und immer mehr Briten müssen Universal Credit beantragen, um zu überleben. Währenddessen verlagerte Jacob Rees-Mogg, der Multimillionär aus dem Unterhaus, der aussieht, als hätte er einen Stock im Arsch und wäre aus der Zeit gefallen, Teile seines Konglomerats nach Dublin aus, um weiter in der EU Geschäfte zu machen, während der größte Spalter, Lügner und staatlich lizensierte Hochstapler Nigel Farage Jagd auf „illegale Migranten“ macht und nicht davor zurückschreckt, wenn er nicht in Dover Patrouilliert, Hotels abfährt und von den Angestellten wissen will, ob dort Flüchtlinge untergebracht sind. Im übrigen spekulieren britische Medien, ob er schon in der deutschen Botschaft einen Deutschen Pass beantragt hat, seine Frau und seine Kinder sind Deutsche.
Ein Highlight des Artikels, er zitiert Alexander von Schönburg, der in der britischen Mail folgendes Schmankerl zum Besten gibt:
„Was Boris Johnson erreicht hat, ist eine maßgeschneiderte Vereinbarung, die Grossbritannien den uneingeschränkten Zugang zum EU Binnenmarkt ermöglicht und gleichzeitig erlaubt, eigene Gesetze und Standards zu schreiben, ein Abkommen, das geradezu sensationell ist: „Rechtlich außerhalb der EU, aber mit vollem wirtschaftlichen Zugang zum EU-Binnenmarkt“, so lautet von Schönburgs Fazit.“
Nun lese ich selten die Mail, in der man nicht mal seine Fish & Chips einwickeln möchte, aber der Artikel ist von daher originell weil am gleichen Tag sein Kollege der Bildzeitung, Albert Link, schreibt, „Als eine der auflagenstärksten Zeitungen des Landes nimmt die „Mail on Sunday“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Visier. „Merkel will, dass Großbritannien über Glasscherben krabbelt“, titelt die Zeitung unter Bezugnahme auf eine anonyme Regierungsquelle.“

Und in der Tat, auf der Hauptseite der Mail on Sunday vom 13.12.2020, liest man genau das. Wie Peiser und Schönburg auf den Gedanken kommen, Angela Merkel hätte Druck auf die EU ausgeübt wissen nur die Beiden. Merkel hat Johnson untersagt die Hauptstädte aufzusuchen, um direkt mit den einzelnen Regierungschefs zu sprechen. Kann man alles schon mal vergessen im Eifer des Geschäfts. Das Königreich hat auch keinen „vollen“ Zugang zum EU-Binnenmarkt wie die beiden fantasieren, sondern ist an viele Bedingungen geknüpft, die sowohl Firmen in der EU als auch auf der Insel belasten werden. Beispielsweise muß nun eine Steuernummer in Großbritannien beantragt werden, wenn man mit englischen Firmen Geschäfte macht, das war vorher nicht nötig.
Ja, Herr Peiser, ihre alternative Brexiterzählung zeigt einen Sieger Broris Johnson auf ganzer Linie. Übrigens, da ich vermute dass er einen EU-Pass hat, muß er sich um den Brexit keine Gedanken machen, kann er doch, im Gegensatz zu den Briten überall in Europa ohne Schwierigkeiten leben. Und was das Erasmus Programm betrifft, da die Tories sagen, dass es doch besser ist, wenn die jungen Leute ein Studienjahr in Australien, oder Kanada machen, hat man mit dem Brexit das Programm verlassen und will es nach dem britischen Mathematiker Alan Turing benennen. Experten fürchten es wird die Steuerzahler eine Menge Geld kosten und ein Loch in die Kassen reißen, aber ja, Sieg auf ganzer Linie.
„Die Feder ist mächtiger als das Wort,“ stellte der Politiker und Schriftsteller Edward George Bulwer-Lytton vor über hundert Jahren fest. Die Achse verdeutlicht dies, denn es geht ihnen längst nicht mehr um eine Gegenargumentation, oder Kritik. Ja, Kritik an der EU ist notwendig und es gibt viele Baustellen, wie das Vetorecht, das es Ungarn erlaubt davon reichlich Gebrauch zu machen, besonders wenn es um die Menschenrechte geht. Der Achse und ihren Autoren geht es allein darum alles abzulehnen und zu diffamieren, beziehungsweise diskreditieren, was nicht in ihr Nationalkonservatives Weltbild passt. Dafür lieben sie ihre Leser und feuern sie an. Sie reagieren allerdings hochaggressiv wenn einzelne Autoren mal einen vernünftigen Artikel schreiben, zum Beispiel Trump zu entfernen.
So lange es gegen Menschen, wie Frau Kahane und die Amadeu Antonio Stiftung geht, die regelmäßig zur Zielscheibe werden weil ihnen das Engagement zuwider ist.
Oder man hat die Corona Maßnahmen zur Zielscheibe und hetzt Leute zu zivilem Ungehorsam auf, nur weil man als Feld, Wald, und Wiesendoktor glaubt das man auch Experte auf dem Gebiet der Virologie ist. Man denkt ernsthaft, nur weil man eine Boxershorts trägt, kann man mit dem amtierenden Boxweltmeister in den Ring steigen.
Was der Brexit bringt wissen wir alle nicht, allerdings wissen viele, auf Grund der Unwägbarkeiten, das es einfacher ist den Kaffeesatz zu lesen, als Prognosen über die langfristigen Folgen des Brexit zu machen.
Anmerkungen: Wer sich umfassender über den Brexit informieren möchte, dem seien die folgenden YouTube Kanäle an‘s Herz gelegt: Maximilien Robespierres, Der Betreiber ist ein Italien lebender Ire der sich seit Beginn mit dem Brexit beschäftigt. Marc Wesseling und sein „A German Eye on Brexit“ Und „A Different Bias“