Dracula

Irland ist ein Land mit einer grossen literarischen Tradition und kann sich, als sehr kleines Land, rühmen, mit WB Yeates, George Bernard Shaw und Samuel Beckett drei Nobelpreisträger für Literatur zu besitzen. Joyce, lange Zeit der missachtete Sohn Irlands, gilt hierzulande als der bedeutendste Schriftsteller Irlands und, der seinem Werk Ulysses gewidmete „Leopold Bloom Day,“ lockt Besucher aus aller Herren Länder nach Dublin, wo sie ganz nach dem Vorbild Blooms durch Dublin streifen.

Man mag sich darüber streiten, inwiefern Ulysses das bedeutendste Werk der Weltliteratur ist, ich persönlich finde „Dubliners‘ besser, aber das bleibt natürlich jedem selbst überlassen.
Vergessen wird bei all dem literarischen Schaffen immer ein Mann, der wie kein anderer Ire, ganze Generationen nach ihm beeinflusst hat und dem Hollywood einige Ideen verdankt.
Ohne Bram Stokers „Dracula“ wären viele Filme undenkbar und auch der Einfluss auf die moderne Horrorliteratur hätte ohne seinen Untaten Fürst, mit seiner Vorliebe für Blut, nicht statt gefunden. Einzig in den USA geniesst Stoker die Anerkennung in Form des „Bram Stoker Awards,“ der Schriftstellern auf dem Gebiet der fantastischen Literatur jedes Jahr verliehen wird.

Er hat zwar eine Reihe von Romanen und Kurzgeschichten veröffentlicht, aber „Dracula“ ist das Werk, das im Gedächtnis geblieben ist.
In den letzten Jahren kam eine Diskussion darüber auf, ob Stoker bei seiner Figur, dem blutsaugenden Vampir, nicht an seine irische Heimat und an die reichhaltige Sagen- und Legenwelt dachte, als er Dracula schrieb.
Stoker, 1847 als drittes von sieben Kindern in Marino Crescent geboren, litt bis zu seinem siebtem Lebensjahr an einer rätselhaften Krankheit, die es ihm versagte das Bett zu verlassen. Anders als andere Kinder verbrachte Bram jeden Tag im Bett und wird dabei mit der irischen Sagenwelt in Berührung gekommen sein und seine Amme wird ihm mit Sicherheit auch von den irischen Vampiren vorgelesen haben, die in grauer Vorzeit die Menschen in Angst und Schrecken versetzten.
Nachdem er auf rätselhafte Weise von seiner Krankheit genesen war, die er ebenso rätselhaft als Kind bekam, wurde aus ihm ein Athlet und Fussballstar am Trinity College, wo er Geschichte, Literatur, Mathematik und Physik studierte. Entgegen seines Studiums folgte er seinem Herrn Papa und wurde Beamter bei der Dienstaufsichtsbehörde für Justizverwaltung -man sieht, Beamter war auch damals schon ein Beruf mit Zukunft und wahrscheinlich werden ihm seine Eltern gesagt haben, „Junge geh nicht auf die Strasse spielen, lern was mit Zukunft“

So verbrachte er einige Jahre in diesem Beruf, den er zum kotzen fand und schrieb nebenbei an seinen Romanen und Kurzgeschichten, sowie als Theater Kritiker für das „Dublin University Magazine.“ Nach seiner Bekanntschaft mit dem Schauspieler Henry Irving, sowie der Hochzeit mit seiner Nachbarin aus Clontarf, wechselte Stoker den Beruf und wurde Manager von Irvings Lyceum Theatre. Zu diesem Zweck siedelte er mit seiner Frau nach London über und liess sich im Londoner Stadtteil Chelsea nieder.
Es bleibt Spekulation, warum Stoker die Geschichte von blutsuagenden Grafen erdacht hat, manche mögen darin eine Kritik an der viktorianischen Zeit sehen, manche einen erwachenden Nationalismus eines Iren, der mit der Geschichte es den Engländern zeigen wollte. Die Wahrheit dürfte viel profaner sein, namelich die Zeit in der Stoker lebte.
Phantastische Literatur lag ganz einfach im Trend. Mary Shelleys „Frankenstein,“ 1818 erschienen war immer noch ein gern gelesenes Buch und sorgte für wohlige Schauer im viktorianischen England. Es war die Zeit, als sich die Menschen mit dem Leben im Jenseits beschäftigten und spiritistische Zirkel wie Pilze aus dem Boden schossen und Helena Petrovna Blavatsky war der Star jeder spiritistischen Sitzung. Die „Society for Psychical Research,“ 1882 in London zur wissenschaftlichen Erforschung paranormaler Phänomene gegründet, war eine höchst ehrenwerte Gesellschaft mit einem unzweifelhaften Ruf.

Fuer Stoker waren das die idealen Voraussetzungen einen Roman zu schreiben, der dem Leser für Stunden, oder Tage, wohlige Schauer über den Rücken laufen lassen konnte. Stoker fügte auch eine erotische Komponente in seinen Roman ein, ein Akt, das dem Sittengefühl damaliger Zeit wie Blasphemie vorkommen musste. Dabei ist sein Roman noch nicht mal kompliziert, es geht um Gut gegen Böse, ein Motiv, dass allen Abenteuerromanen zu eigen ist.
Teilweise eine Sittenstudie der damaligen Zeit; der Verführer, in Form des Untoten Grafen aus dem fernen Land, die sittsame Verlobte, die auf die Rückkehr ihres Liebsten wartet, ihre laszive Freundin, die sich aus dem engen Korsett der Sittenstrenge zu befreien versucht und natürlich der Held, der am Ende das Böse besiegt. Geschickt verwebt Stoker in seinem Roman Legende und Wahrheit miteinander, so dass der Leser das Gefühl hat dass, was Stoker beschreibt, sei Realität.
Wahrscheinlich wurde Stoker von Joseph Sheridan le Fanu beeinflusst, einem irischen Schriftsteller, den ausserhalb der phantastischen Literatur kaum einer kennt, dabei ist sein Roman „Camilla“ eigentlich ein Meilenstein in diesem Genre und dürfte bei manchem für schlaflose Nächte gesorgt haben. Nicht auf Grund der Erzählung, sondern auf Grund der Tabubrueche die le Fanu begeht.

Nun bleibt die Frage, wieviel von Stokers Roman ist irisch. Dieser Frage ging vor ein paar Jahren der nordirische Journalist Sean Hillen nach und der „Belfast Telegraph“ widmete ihm einen Artikel und auch die BBC widmete dieser Frage eine etwas längere Notiz.
Die Antworten sind sehr plausibel und in der Tat wird Stoker die irischen Legenden und Sagen gekannt haben, seine Amme hat ihm ja mit Sicherheit aus diesen Büchern vorgelesen.
Warum Stoker die Geschichte von Irland in das weit entfernte Transsylvanien verlegt hat könnte sich damit erklären lassen, dass man so gut wie nichts darüber wusste. Es gab zwar Reiseberichte, die über eine ärmliche und karge Landschaft berichteten, eine Landschaft in der nach Meinung der meisten Westeuropäer die Woelfe an die Haustüren klopften, wenn sie Hunger hatten. Hinzu kommt, dass Stoker beschrieben wird als jemand, der ausserordentlich gut recherchierte für seine Bücher.
Wahrscheinlich stiess er mit Sicherheit auf Vlad Tepes und der Beiname „Dracula“ klang für Stoker sehr vertraut. Im irischen gibt es den Ausdruck ‘droch fhola’, „böses Blut“ und in der Sagenwelt gab es einen bösartigen Koenig, der angeblich um das Jahr 600 n. Chr. regiert haben soll.
Dieser Koenig mit Namen „Abhartach“, war ein Zwerg, abhartach = irish für Zwerg. Die Bewohner sollen der Grausamkeiten überdrüssig gewesen sein und erschlugen ihn in einem Hinterhalt, den sie für den Zwerg gelegt hatten. Nachdem sie dreimal nur den Haaransatz getroffen hatten, gerade weil er so klein war…..Nachdem sie ihn erschlagen und beerdigt hatten, kehrte Abhartach jede Nacht aus seinem Grab zu den Lebenden zurück und rächte sich für seine Ermordung, indem er das Blut der Lebenden trank um so Unsterblichkeit zu erlangen.

Diejenigen, die Abhartach ermordet hatten, kehrten zu seinem Grab zurück, öffneten es und begruben den Zwerg mit dem Gesicht nach unten. Um zu verhindern, dass er jemals wieder aus seinem Grab steigen könne, beschwerten sie es mit einem Dolmen.
Sein Grab, so heisst es, liegt in Slaghtaverty, einer Gegend in der Nähe von Londonderry. Und es wird davor gewarnt den Stein von seinem Grab zu hieven, damit, so steht es in den Sagen und Legenden, würde der Zwerg aus seinem Grab auferstehen und sein ruchloses Werk fortsetzen.
Obwohl diese Legende zuerst von dem irischen Historiker Patrick Weston Joyce (nicht verwandt und nicht verschwägert, obwohl wer weiss das schon) in seinem Werk von 1875 „The Origin and History of Irish Names of Places,“veröffentlicht wurde, nehme ich an, dass diese Geschichte viel frueheren Ursprungs ist und Joyce sie einfach in sein Buch aufgenommen hat.

Nun, warum Transsylvanien? Da für Stoker diese ganzen Geschichten bekannt gewesen sein dürften und er wahrscheinlich auch le Fanu gelesen hat, erschien es Stoker wohl dramatischer, wenn sein Protagonist aus den Tiefen der Karpaten kommt, Wild, Geheimnisvoll und Unzugänglich, wie der afrikanische Kontinent zu damaliger Zeit.
Dabei vermischte er keltische Legenden und Sagengestalten mit der Figur des Vlad Tepes und griff auf die irische Sprache zurück, die Stoker mit Sicherheit beherrscht hat.
Herausgekommen ist ein Roman, der zur damaligen Zeit nicht gerade ein Bestseller wurde. Stoker veröffentlichte nur wenige Exemplare in Eigenregie und erst Nach und Nach bekam man seinen Roman in jeder Londoner Buchhandlung.
Sein Roman, eine Vermischung aus Wahrheit und Fiktion, benötigte mehrere Jahrzehnte, bis er die Aufmerksamkeit bekam, die ihm zustand und die späte Anerkennung.

Das Horrorgenre wäre ohne diesen Fürst aus Transsylvanien heute undenkbar und über Schauspieler von Max Schreck ( obwohl er Nosferatu gespielt hat), Bela Lugosi und Christopher Lee, bis zu Gary Oldman spannt sich der Bogen derjenigen, die den Graf am Leben erhalten und seinen Schöpfer unsterblich gemacht haben. Derjenige, der offensichtlich für Stoker Pate stand, nämlich sein Freund, der Schauspieler Henry Irving, weigerte sich den Grafen Dracula auf der Bühne zu spielen. So erlebte Stoker den Ruhm seines geistigen Kindes nicht mehr.
Stoker, der zuletzt in ziemlich bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebte, starb nach mehreren Hirnschlägen am 20. April 1912.
Anzumerken bleibt, dass Stoker sich, entgegen der damaligen Zeit üblich, im Golders Green Crematorium einäschern liess und seine Urne dort heute noch besichtigt werden kann. Vielleicht wollte Stoker dem Schicksal seines Protagonisten entgehen und fürchtete, nach seinem Tod ruhelos durch London wandern zu müssen, auf der Suche nach Erlösung.

Und so hat ein kleines bisschen die irische Legende Einzug in die Filmwelt Hollywoods erhalten.

Wer ein bisschen mehr lesen möchte, dem sei das hier empfohlen.

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